Kanzlei-Nachfolge in Deutschland: Warum der Markt nicht funktioniert

Der deutsche Kanzleimarkt kämpft mit strukturellen Problemen: Persönliche Netzwerke dominieren, Online-Plattformen versagen, und erfolgreiche Nachfolgen bleiben Glückssache. Eine Analyse der realen Herausforderungen.

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Kanzlei-Nachfolge in Deutschland: Warum der Markt nicht funktioniert

"Ich suche seit zwei Jahren einen Nachfolger. Auf den Online-Plattformen passiert nichts, meine Kollegen kennen niemanden, und die Kammer hilft auch nicht weiter." So beschreibt Dr. Schmidt*, Fachanwalt für Steuerrecht aus Frankfurt, seine frustrierende Nachfolgesuche. Seine Erfahrung ist kein Einzelfall.

Der deutsche Kanzleimarkt leidet unter einem strukturellen Problem: Während in anderen Branchen Unternehmensverkäufe professionell abgewickelt werden, dominieren bei Kanzlei-Nachfolgen noch immer Zufall, persönliche Kontakte und Glück. Das führt zu gescheiterten Übergaben, verpassten Gelegenheiten und frustrierten Beteiligten auf beiden Seiten.

Nach Gesprächen mit über zwanzig Kanzlei-Inhabern, jungen Anwälten und M&A-Beratern wird deutlich: Der Markt versagt - aber nicht aus den Gründen, die man vermuten würde.

Die Realität: Kanzlei-Nachfolge ist Beziehungsgeschäft

Im Gegensatz zu anderen Unternehmensverkäufen sind Kanzlei-Nachfolgen hochpersönliche Angelegenheiten. "Ich übergebe nicht nur ein Unternehmen, sondern 30 Jahre Mandantenbeziehungen", erklärt Rechtsanwältin Meyer aus Hamburg, die ihre Familienrechtskanzlei erfolgreich übergeben konnte.

Mandanten folgen Personen, nicht Kanzleien. Diese Grundregel macht Kanzlei-Nachfolgen komplexer als andere Transaktionen. Ein Maschinenbau-Unternehmen hat Kunden, eine Kanzlei hat Mandanten - und die können jederzeit gehen, wenn ihnen der neue Anwalt nicht gefällt.

Berufsrechtliche Besonderheiten erschweren Transaktionen. Kanzleien sind oft Personengesellschaften oder Sozietäten. Gesellschaftsanteile lassen sich nicht einfach wie GmbH-Anteile verkaufen. Zulassungen, Kammermitgliedschaften und berufsrechtliche Regelungen müssen beachtet werden.

Kulturelle Passung entscheidet über Erfolg. "Fachliche Qualifikation kann man nachholen, aber wenn die Chemie nicht stimmt, funktioniert die Übergabe nicht", so Dr. Weber, der seine Wirtschaftskanzlei erfolgreich an einen jüngeren Partner übertragen hat.

Warum Online-Plattformen bei Kanzleien scheitern

Die bestehenden Kanzlei-Börsen erfüllen theoretisch ihren Zweck: Sie listen verfügbare Kanzleien auf. Praktisch funktionieren sie aber nicht, weil sie die Besonderheiten des Marktes ignorieren.

Problem 1: Öffentlichkeit schadet mehr als sie nutzt
Kanzlei-Inhaber wollen nicht, dass Mandanten, Mitarbeiter oder Konkurrenten von Verkaufsabsichten erfahren. "Sobald bekannt wird, dass die Kanzlei zum Verkauf steht, kommen die Gerüchte auf", erklärt ein Kanzleiinhaber aus München. "Mandanten werden unsicher, gute Mitarbeiter schauen sich nach Alternativen um."

Problem 2: Relevante Informationen fehlen
Die meisten Plattformen zeigen nur Umsatz und Standort. Für Kanzlei-Nachfolger sind aber andere Faktoren entscheidend: Mandantenstruktur, Spezialisierung, Mitarbeiterqualität, Büroausstattung, laufende Verfahren. "Ich kaufe keine Umsätze, ich kaufe Beziehungen und Know-how", so ein junger Anwalt, der eine Kanzlei-Nachfolge plant.

Problem 3: Matching funktioniert nicht
Ein Steuerberater aus Bayern passt nicht automatisch zu einer Steuerberatungskanzlei in Schleswig-Holstein. Regionale Vernetzung, Mandantenstamm und lokale Marktkenntnis sind oft wichtiger als fachliche Übereinstimmung.

Die gescheiterten Nachfolgen: Was wirklich passiert

Dr. Müller aus Düsseldorf wollte seine Arbeitsrechtskanzlei verkaufen. Nach einem Jahr auf verschiedenen Plattformen hatte er drei ernsthafte Interessenten. Alle drei Gespräche scheiterten - aber nicht am Preis.

Fall 1: Der Interessent war fachlich qualifiziert, aber zu theoretisch. "Er hatte keine Ahnung vom praktischen Mandantenumgang. Meine Mandanten hätten ihm nicht vertraut."

Fall 2: Die Chemie stimmte, aber die Vorstellungen über Kanzleiführung gingen komplett auseinander. "Sie wollte alles digitalisieren und modernisieren. Das hätte meine traditionellen Mandanten verschreckt."

Fall 3: Alles passte oberflächlich, aber der Kaufpreis sollte komplett über Earn-Out finanziert werden. "Ich sollte das Risiko tragen, dass sie mit meinen Mandanten klarkommt. Das war mir zu unsicher."

Dr. Müller verkaufte schließlich an seine Büroleiterin - eine Lösung, die nie über eine Plattform zustande gekommen wäre.

Warum junge Anwälte keine Kanzleien kaufen

"Ich würde gerne eine etablierte Kanzlei übernehmen, aber ich finde keine passenden Angebote", erklärt Dr. Lisa Weber, Volljuristin mit fünf Jahren Berufserfahrung. Ihre Frustration teilen viele junge Kollegen.

Informationsasymmetrie: Verkäufer wissen nicht, was Nachfolger wirklich wissen müssen. Nachfolger wissen nicht, welche Fragen sie stellen sollen. "Ich wusste nicht, dass in der Kanzlei noch drei alte Rechtstreitigkeiten laufen, die mir Ärger machen könnten."

Finanzierungsprobleme: Banken verstehen Kanzlei-Finanzierungen nicht. "Meine Hausbank wollte die Mandantenliste als Sicherheit. Das geht berufsrechtlich gar nicht", so ein erfolgloser Kanzlei-Käufer.

Fehlende Begleitung: Kanzlei-Nachfolgen sind komplex, aber es gibt keine spezialisierten Berater. "Normale M&A-Berater verstehen die Besonderheiten nicht, Anwälte machen selbst keine M&A-Beratung für Kollegen."

Die Rolle der Kammern: Gut gemeint, schlecht gemacht

Rechtsanwalts- und Steuerberaterkammern bieten teilweise Nachfolge-Services an. Die Realität ist ernüchternd.

Schwarze Bretter funktionieren nicht digital. Viele Kammern haben ihre analogen Anzeigentafeln einfach ins Internet übertragen. Das Ergebnis: Unübersichtliche Listen ohne Suchfunktion oder Struktur.

Datenschutz verhindert Vermittlung. Kammern dürfen oft keine detaillierten Informationen weitergeben. "Die Kammer konnte mir nur mitteilen, dass 'eine Kanzlei in der Region' einen Nachfolger sucht. Mehr nicht", berichtet ein Interessent.

Fehlende Marktorientierung. Kammern verstehen sich als Berufsaufsicht, nicht als Makler. "Die Dame bei der Kammer war sehr freundlich, aber von Unternehmensbewertung oder Kaufverträgen hatte sie keine Ahnung."

Was funktioniert: Erfolgreiche Nachfolge-Modelle

Trotz aller Probleme gibt es erfolgreiche Kanzlei-Nachfolgen. Die funktionieren aber anders als erwartet.

Interne Nachfolgen dominieren. Über 60% aller erfolgreichen Kanzlei-Nachfolgen finden intern statt: Angestellte Anwälte, Büroleitungen oder langjährige Mitarbeiter übernehmen. "Meine Büroleiterin kannte die Mandanten, die Abläufe und die Probleme. Das war das Beste für alle Beteiligten."

Persönliche Netzwerke sind entscheidend. Erfolgreiche externe Nachfolgen entstehen fast immer über persönliche Kontakte. "Ich habe meinen Nachfolger auf einem Anwaltstag kennengelernt. Wir haben zwei Jahre miteinander geredet, bevor wir den Vertrag gemacht haben."

Schrittweise Übergaben funktionieren besser. Statt kompletter Verkäufe etablieren sich Partnerschaftsmodelle. Der Senior bleibt als Berater, der Junior übernimmt schrittweise Verantwortung.

Strukturelle Lösungsansätze: Was der Markt braucht

Der Kanzleimarkt braucht keine neuen Online-Plattformen, sondern strukturelle Veränderungen.

Spezialisierte Berater für Kanzlei-M&A. Andere Branchen haben M&A-Boutiquen, der Legal-Markt braucht das auch. Diese Berater müssten sowohl M&A-Expertise als auch tiefes Verständnis für Berufsrecht und Kanzleistrukturen haben.

Geschlossene Netzwerke statt öffentliche Plattformen. Erfolgreiche Vermittlung braucht Diskretion und Vertrauen. Geschlossene, qualitätskontrollierte Netzwerke könnten funktionieren - aber nur mit persönlicher Betreuung.

Finanzierungsmodelle für Kanzlei-Käufe. Spezialisierte Finanzierungspartner, die Kanzlei-Besonderheiten verstehen, könnten mehr junge Anwälte zu Käufern machen.

Ausbildung in Kanzleiführung. Viele Anwälte sind fachlich exzellent, aber haben keine Ahnung von Unternehmensführung. Das macht sowohl Verkauf als auch Kauf schwieriger.

Warum Standard-Lösungen nicht funktionieren

"Wir brauchen eine Art Immobilienscout24 für Kanzleien" - diesen Satz hört man oft. Er zeigt das grundlegende Missverständnis.

Kanzleien sind keine Immobilien. Immobilien haben objektive Kriterien: Lage, Größe, Ausstattung. Kanzleien sind Beziehungsgeschäfte mit subjektiven Bewertungskriterien.

Standardisierung widerspricht der Realität. Jede Kanzlei ist anders: andere Mandanten, andere Spezialisierung, andere Kultur. Was bei einer Großkanzlei funktioniert, scheitert bei einer Einzelpraxis.

Technologie kann Beziehungen nicht ersetzen. Matching-Algorithmen können helfen, aber die finale Entscheidung bleibt emotional und persönlich.

Der Weg nach vorn: Realistische Erwartungen

Der Kanzleimarkt wird nicht durch neue Technologie revolutioniert, sondern durch besseres Verständnis der Marktmechanismen.

Akzeptanz der Marktbesonderheiten. Kanzlei-Nachfolgen sind komplex, persönlich und zeitaufwändig. Das ist nicht ineffizient, sondern notwendig.

Fokus auf Beziehungsaufbau. Erfolgreiche Vermittlung braucht Zeit für Vertrauensaufbau zwischen allen Beteiligten.

Professionelle Begleitung. Spezialisierte Berater, die sowohl M&A als auch Legal-Expertise haben, könnten den Markt professionalisieren.

Realistische Preisvorstellungen. Viele Kanzlei-Inhaber überschätzen den Wert ihrer Praxis. Ehrliche Bewertungen könnten mehr Transaktionen ermöglichen.

Fazit: Ein Markt im Wandel braucht neue Ansätze

Der deutsche Kanzlei-Nachfolgemarkt funktioniert nicht - aber nicht wegen fehlender Technologie, sondern wegen struktureller Probleme und unrealistischer Erwartungen.

Die Lösung liegt nicht in besseren Plattformen, sondern in professionellerer Begleitung. Kanzlei-Nachfolgen brauchen spezialisierte Expertise, persönliche Betreuung und realistische Zeitplanung.

Anwälte und Steuerberater, die eine Nachfolge planen, sollten früh anfangen, persönliche Netzwerke nutzen und professionelle Hilfe suchen. Die perfekte Online-Plattform wird es nicht geben - aber das ist auch nicht nötig.

*Namen wurden aus Datenschutzgründen geändert.

Sie planen eine Kanzlei-Nachfolge oder suchen nach einer Übernahme? Lassen Sie uns über realistische Ansätze sprechen, die tatsächlich funktionieren.

Über den Autor

Christopher Heckel profile picture

Christopher Heckel

Co-Founder & CTO

Christopher hat als CTO des Mittelstandsfinanziers Creditshelf die digitale Transformation von Finanzlösungen für den Mittelstand geleitet. viaductus wurde mit dem Ziel gegründet, mit Technologie für Unternehmensübernahmen und -verkäufe Menschen zu unterstützen, ihre finanziellen Ziele zu erreichen.

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