Global denken, lokal handeln: Warum der Mittelstand für internationale Führungstalente attraktiv wird

Prof. Dr. Alexander Zureck erklärt, warum der deutsche Mittelstand für internationale Führungskräfte eine attraktive Alternative zu Großkonzernen darstellt und wie Management-Buy-Ins neue Chancen eröffnen.

8 min Lesezeit

Ich lehre in Deutschland und den USA, unterstütze Start-ups strategisch und coache Unternehmer und Führungskräfte. Und doch gibt es eines, das mich immer wieder besonders fasziniert: der deutsche Mittelstand.

Warum? Weil sich dort eine Kombination findet, die weltweit selten geworden ist: wirtschaftliche Substanz, Verantwortung, Gestaltungsmacht und Nachhaltigkeit. Viele Mittelständler sind Hidden Champions – mit innovativen Produkten, hoher technischer Qualität und globaler Nachfrage. Und dennoch: Außerhalb ihrer Branchen sind sie kaum sichtbar, obwohl sie laut des IfM Bonn über 99% aller Unternehmen in Deutschland KMUs sind. Genau hier liegt eine oft übersehene Chance – vor allem für internationale Talente, die Verantwortung übernehmen wollen.

Was macht den deutschen Mittelstand für Nachfolger so attraktiv?

Deutschland ist weltweit bekannt für Großkonzerne wie Siemens, BMW, Mercedes oder Adidas. Doch gerade für jüngere Führungskräfte ist der Zugang zu echten Gestaltungspositionen in diesen Strukturen oft schwer – flache Hierarchien existieren dort meist nur auf dem Papier.

Im Mittelstand ist das anders: Karrierewege sind kürzer, der Gestaltungsspielraum größer, der Kontakt zur Realität direkter. Trotzdem übersehen viele Talente diese Möglichkeit auch, weil Mittelständler als Arbeitgeber kaum öffentlich wahrgenommen werden.

Der deutsche Mittelstand bleibt jedoch besonders interessant:

  • Das Bildungssystem liefert gut ausgebildete Mitarbeitende (80% aller Auszubildenden sind bei KMU, Quelle: IfM)
  • Rechtssicherheit ist hoch
  • Kapitalbedarf vergleichsweise niedrig, da viele Unternehmen unter Marktwert verkauft werden – oft ohne professionelle Beratung

Wie können internationale Führungskräfte im deutschen Mittelstand mitwirken?

Ein vielversprechender Einstieg: der Management-Buy-In (MBI). Dabei übernimmt eine externe Führungskraft – auch aus dem Ausland – nicht nur das operative Management, sondern wird gleichzeitig Anteilseigner:in. Ein Modell, das Unternehmertum, Eigenverantwortung und Beteiligung in idealer Weise verbindet.

Wer ein Management-Buy-In (MBI) durchführt, kauft sich nicht nur in ein Unternehmen ein – er oder sie übernimmt Verantwortung für eine gewachsene Unternehmenskultur. Und genau darin liegt ein großes Potenzial: Viele Mittelständler sind Hidden Champions – hochspezialisiert, regional verankert, international gefragt. Was ihnen jedoch oft fehlt, sind digitale Kompetenzen, der Zugang zu neuen Märkten oder modernen Arbeitsmodellen.

Welche Chancen können Nachfolger in das Unternehmen bringen?

Im Unterschied zur klassischen familieninternen Nachfolge bringt ein MBI jedoch einen neutralen Blick von außen – und das kann ein echter Gewinn sein. Wer nicht mit dem Betrieb aufgewachsen ist, sieht ungenutzte Potenziale, überholte Routinen oder neue Marktzugänge. Vor allem aber Möglichkeiten zur Steigerung von Effizienz und Effektivität durch gezielte Digitalisierung!

Hier können internationale MBI-Kandidaten viel einbringen:

  • globale Netzwerke,
  • Mehrsprachigkeit, wobei Deutschkenntnisse ein Muss sind,
  • Erfahrung mit Remote Leadership
  • und ein Verständnis für agile Skalierung.

Die Führungskräfte von morgen müssen nicht mehr aus der gleichen Stadt stammen wie die Gründer von gestern – sie müssen die Vision erkennen und den Mut haben, sie weiterzuentwickeln.

Viele Mittelständler haben erst jetzt mit der digitalen Transformation begonnen. Gerade für MBI-Kandidaten mit Tech-Erfahrung aus Ländern wie den USA oder Indien liegt hier enormes Wachstumspotenzial: Prozesse automatisieren, Geschäftsmodelle skalieren, Kundenzugänge neu denken. Doch Digitalisierung ist nicht nur Technologie, sondern auch Kultur.

Was können Nachfolger von Unternehmerpersönlichkeiten lernen?

In einem Gespräch mit Wolfgang Kiessling, dem Gründer des Loro Parque und SIAM Park auf Teneriffa, wurde mir bewusst, wie viel Substanz im klassischen Unternehmertum steckt. Herr Kiessling führt sein Unternehmen auch im hohen Alter noch mit Leidenschaft, betont Werte wie Verantwortung, Durchhaltevermögen und Bodenhaftung. Seine Nachfolge ist geregelt – durch ein Zusammenspiel aus familiärem Vertrauen, klarer Aufgabenteilung und langfristiger Perspektive. So hat er beispielsweise alle digitalen Themen an seinen Sohn übergeben.

Für MBI-Kandidaten ergibt sich hier eine wichtige Lehre: Wer ein Unternehmen übernimmt, übernimmt auch ein Stück Identität. Es geht nicht nur um KPIs und Marktanteile, sondern um Beziehungen, Kultur und Sinn. Moderne Nachfolger sollten deshalb nicht nur in Due Diligence, sondern auch in Zuhören investieren. Denn hinter vielen Mittelstandsunternehmen steht ein Lebenswerk.

Entscheidend ist jedoch auch: Wer ein Unternehmen übernimmt, sollte mit den Werten der Organisation übereinstimmen – und bereit sein, durch gute wie durch schwierige Zeiten zu gehen. Unternehmer:innen investieren nicht nur Kapital, sondern Identität und Lebenszeit. Ihr größtes Asset ist nicht selten der Betrieb selbst – nicht ein Aktienpaket, sondern ein Netzwerk, ein Team, eine Idee und letztlich oft ein Produkt „Made in Germany".

Wie wichtig ist die Sprache für den beruflichen Einstieg in den deutschen Mittelstand?

Eine Führungskräfteumfrage mit 1420 befragten Führungskräften in deutschen Unternehmen, an der ich als wissenschaftlicher Leiter mitgewirkt habe, zeigt deutlich: Die größte Hürde im deutschen Mittelstand ist nach wie vor die Sprache. Wer als internationale Führungskraft Fuß fassen will, muss solide Deutsch sprechen. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Verständigung – im Team, bei Kunden, in Behörden. Sprachkompetenz ist Schlüssel zur Integration – wie überall auf der Welt.

Studie - Umfrage zu Führungskräften

Internationale Nachfolge braucht neue Modelle

Als Professor, Coach und Consultant begleite ich viele Menschen, die international tätig sind, aber bewusst in Deutschland oder Europa unternehmerisch wirken wollen. Viele von ihnen denken nicht mehr in linearen Karrieren, sondern in Projektzyklen. Sie suchen nicht das "sichere Angestelltendasein", sondern Verantwortung.

MBI bietet genau das:

  • Unternehmerische Selbständigkeit ohne bei Null zu starten.
  • Zugang zu etablierten Teams, Produkten und Kunden.
  • Die Möglichkeit, internationale Erfahrung in lokale Strukturen einzubringen.

Dabei braucht es neue Ansätze:

  • Virtuelle Onboarding-Phasen,
  • hybrides Arbeiten,
  • Beteiligungsmodelle über Ländergrenzen hinweg.

Nachfolge muss flexibel gedacht werden – genau wie die Lebensrealitäten vieler moderner Führungskräfte.

Was macht ein erfolgreiches virtuelles Onboarding & Remote Leadership aus?

Gerade in international geprägten Nachfolgeprozessen ist Remote Leadership ein zentrales Thema. Ein gelungenes virtuelles Onboarding braucht mehr als Technik:

  • intensive Kontaktphasen zu Beginn
  • regelmäßige Check-ins
  • und vor allem: klares, ehrliches Feedback, positiv und negativ.

Denn in der virtuellen Welt fehlen Mimik und Gestik – Feedback muss deshalb explizit, differenziert und regelmäßig gegeben werden. Nur so entsteht Vertrauen und Entwicklung.

Und: Homeoffice bedeutet nicht, dass niemand mehr ins Büro will. Vielmehr geht es um Flexibilität in besonderen Lebensphasen, bspw. ein Umzug, die Einschulung des Kindes oder auch ein Besuch bei der Familie im Ausland.

Der Mittelstand kann hier punkten, weil er weniger starr agiert als Konzerne: Arbeitszeitmodelle lassen sich individuell gestalten, die Strukturen sind anpassungsfähiger – und die Entscheidungswege kürzer.

Welche Haltung braucht eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge in Mittelstandsunternehmen?

Wer heute in den Mittelstand investiert und ein Unternehmen übernehmen will, sollte sich fragen: Stehe ich zu 100 % hinter dem, was ich dort vertrete? Bin ich bereit, nicht nur Manager, sondern Unternehmer:in zu sein? Denn genau das macht den Unterschied: Investiert wird nicht nur in ein Unternehmen – sondern in eine Haltung. Verantwortung übernehmen, gestalten, wachsen.

Gerade für internationale Führungstalente ist der Mittelstand eine spannende Alternative zum Konzern oder zur Neugründung. Zudem eröffnet ein MBI die Möglichkeit, lokale Stärke mit globaler Erfahrung zu verbinden, Produkte neu zu denken, Strukturen zu digitalisieren und Führung neu zu leben. Denn wer global denkt und lokal handelt, kann aus einem traditionsreichen Unternehmen eine zukunftsfähige Erfolgsgeschichte machen. Letztlich muss man aber Deutsch können, um am Ende erfolgreich zu sein!

Über den Autor

Prof. Dr. Alexander Zureck profile picture

Prof. Dr. Alexander Zureck

Professor | Coach & Consultant for Entrepreneurs & Leaders | Keynotes, Workshops & Financial Planning | Strategische Beratung & Karriereentwicklung

Prof. Dr. Alexander Zureck ist ein erfahrener Professor, Coach und Consultant mit über einem Jahrzehnt Expertise in Banking & Finance, digitaler Transformation und nachhaltigen Geschäftsmodellen. Er lehrt an der FOM University in Deutschland Module zu Financial Technology, Business- und Projektmanagement sowie an der Golden Gate University in San Francisco als Professor of Practice. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der WEPEX GmbH trägt er zur Entwicklung innovativer KI- und Blockchain-Lösungen im Finanzsektor bei. Seine Beratung umfasst strategische Planung, Finanzmanagement und digitale Transformation für Unternehmer und Führungskräfte in Deutschland und den USA.

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